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„Hey, Pippi Langstrumpf“

Bearbeitung durch Übernahme einer Romanfigur

Gericht Datum Aktenzeichen Entscheidungsname
LG Hamburg 09. Dezember .2020 308 O 431/17 „Hey, Pippi Langstrumpf“
OLG Hamburg Vergleich vor 07.05.2022 5 U 175/20 „Hey, Pippi Langstrumpf“

Zum Fall:

„Hey, Pippi Langstrumpf“ Wolfgang Franke (1969)
vs.
„Här kommer Pippi Långstrump“ Astrid Lindgren (1969)
Urteil: Vergleich, aber unfreie Bearbeitung
Volltext der Gerichtsentscheidung (Landesrecht hamburg)

Hörbeispiele

Hörbeispiel 1 (Schwedisch)
„Här kommer Pippi Långstrump“ (Original  1969, gesungen von Inger Nilsson)

https://youtu.be/RB-5-091k-w

Hörbeispiel 2 (Deutsch):
„Hei, Pippi Langstrumpf“ (TV-Serie 1969, Erstausstrahlung 1971, gesungen von Eva Mattes)

https://youtu.be/lPOdvUUw6dc

Hörbeispiel 3 (Deutsch):
„Hey, Pippi Langstrumpf“ (Fernsehfilme 1968-1970, gesungen von Rosy Teen)

https://youtu.be/XCPM6A76as0

Liedtexte

Lindgren-Text übersetzt Text von Franke
Hier kommt Pippi Långstrump,
tjolahopp tjolahej tjolahoppsan-sa,
hier kommt Pippi Långstrump,
ja, hier komme tatsächlich ich.

Hast du meinen Affen gesehen,
meinen süßen, tollen, kleinen Affen,
dann hast du Herrn Nilsson gesehen,
ja, der heißt wirklich so.

Hast du meine Villa gesehen,
meine Villa Villekulla,
willst, oh, willst du wissen,
warum die Villa so heißt?

Ja, denn dort wohnt ja Pippi Långstrump,
tjolahopp tjolahej tjolahoppsan-sa,
dort wohnt ja Pippi Långstrump,
ja, da wohne ich tatsächlich.

Das ist nicht schlecht,
ich hab 'nen Affen, Pferd und Villa,
und es ist auch gut,
einen Koffer voll Geld zu haben.
Kommt jetzt, alle Freunde,
alle, die ich kenne,
jetzt wollen wir die Puppen tanzen lassen,  
tjolahej tjolahoppsan-sa.
Hier kommt Pippi Långstrump,
tjolahopp tjolahej tjolahoppsan-sa,
hier kommt Pippi Långstrump.
Zwei mal drei macht vier
Widdewiddewitt
und drei macht neune.
Ich mach' mir die Welt
Widdewidde wie sie mir gefällt ....

Hey - Pippi Langstrumpf
trallari trallahey tralla hoppsasa
Hey - Pippi Langstrumpf,
die macht, was ihr gefällt.

Drei mal drei macht sechs
Widdewidde
Wer will's von mir lernen ?
Alle groß und klein
trallalala lad' ich zu uns ein.

Ich hab' ein Haus,
ein kunterbuntes Haus
ein Äffchen und ein Pferd,
die schauen dort zum Fenster raus.
Ich hab' ein Haus,
ein Äffchen und ein Pferd,
und Jeder, der uns mag,
kriegt unser 1 x 1 gelehrt.

Zwei mal drei macht vier
Widdewiddewitt
und drei macht neune.
Wir machen uns die Welt
Widdewidde wie sie uns gefällt ....

Hauptgutachter

-


Kernaussagen / Leitsatz

Wenn in einem Text wesentliche Merkmale von einer literarischen Figur übernommen werden, die über die reine äußerliche Gestalt hinaus gehen, handelt es sich um eine unfreie Nutzung.


Zusammenfassung

Ab 1945 veröffentlichte Astrid Lindgren Kinderbücher über das äußerst eigenwillige Mädchen „Pippi Langstrumpf“. Psychologen benannten nach ihr das „Pippi-Langstrumpf-Syndrom“ (PPL-Syndrom oder PPLS), wenn eine Person die Realität filtert und in einer Scheinwelt lebt. Die berühmte Liedzeile, auf die sich Psychologen berufen, sorgte 2017 für Lacher im Bundesparlament. Andrea Nahles sang dem Plenum „Ich mach mir die Welt widewidewie sie mir gefällt“ in freier melodischer Interpretation vor, um auf den angeblichen Realitätsverlust einiger PolitikerInnen hinzuweisen.

Anmerkung: Die Romanfigur stand schon öfter im Mittelpunkt von Rechtstreitigkeiten. Der BGH befand 2015 (Az.: I ZR 149/14, Pippi-Langstrumpf-Kostüm II), dass der Lebensmitteldiscounter Penny weiterhin mit einem Kostüm werben durfte, das an Pippi Langstrumpf erinnerte. Wettbewerbsrechtlich gab es keine Verwechslungsgefahr und urheberrechtlich waren die Übereinstimmungen so gering, dass es sich um keine Nachahmung handelte.

Buchcover des verbotenen Romans Die doppelte Piepilotta Das Hanseatische Oberlandesgericht verbot mit dem Urteil vom 03.03.2011 (5 U 140/09) die weitere Verbreitung des Romans „Die doppelte Pippielotta“, der sich eng an der Lindgren-Vorlage entlang hangelte. Die Figur hieß nun „Pippielotta“ statt „Pippilotta“. Es ging um ein rothaariges Mädchen aus Schweden mit geflochtenen Zöpfen und langen Strümpfen, das überaus stark ist und „Krumunkulus Pillen“ (statt: Krummeluß Pillen) nimmt, um nicht erwachsen zu werden. Es lebt in der Villa Kunterbund (statt: Kunterbunt) auf der Insel Taka-Tuka. Die Parallelen sind offensichtlich. Das Gericht befand, dass „nahezu sämtliche charakteristischen Merkmale“ der Vorlage übernommen wurden. Der Autor Manfred Hueber verwies auf die Unterschiede. Seine Figur hat eine Zwillingsschwester, didaktisch setzt sich der Roman sozialkritisch mit der Haltung auseinander, nicht erwachsen werden zu wollen. Das Gericht sah hierin keinen hinreichenden Abstand für eine Freie Benutzung. Die Unterschiede ändern nichts an der Urheberrechtsverletzung.

Astrid Lindgren hat sich einfach gefreut, wenn sie Kinder mit ihren Geschichten glücklich machen konnte. Sie schrieb vor allem für sich. Die bescheidene Schwedin sah ihre Romanfiguren nicht als „Marken“, mit denen sie große Geldgeschäfte machen kann. Lizenzen vergab sie recht freigiebig und sie verabscheute eine übertriebene Kommerzialisierung. Gemessen an ihrem weltweiten Erfolg — Lindgren ist die erfolgreichste Kinderbuchautorin — fiel ihr 20 Millionen-Erbe entsprechend eher gering aus. Allerdings verdienen Trittbrettfahrer heute mit Lindgren-Merchandise-Artikeln pro Jahr hunderte Millionen. Die Lindgren-Erben schauen nicht länger zu und gehen seit dem Tod der Urheberin 2002 entschieden gegen Rechtsverletzungen vor. Sie verwalten die 1998 von Lindgren noch selbst gegründete „Saltkråkan AB“, die 2018 in „The Astrid Lindgren Company“ umbenannt wurde und für die Lindgren-Vermarktung zuständig ist. Ihr Anwalt Ralph Oliver Graef aus Hamburg hilft Ihnen dabei.

Am 11. Dezember 2017 verklagten die Erben nach zehn Jahren erfolgloser Korrespondenz die Witwe von Dr. Wolfgang Franke sowie die Münchner Filmkunst-Musikverlags- und Produktionsgesellschaft. Der Songwriter Franke hat 1969 den Auftrag bekommen, einen deutschen Liedtext zur Titelmusik der synchronisierten Fernsehserie zu schreiben. Franke vertonte die musikalische Fassung von Konrad Elfers, sie übernahm die Original-Melodie „Här kommer Pippi Långstrump“ der schwedischen Titelmeldie, komponiert vom Jazzmusiker Jan Johansson. Elfers änderte jedoch das Arrangement, in Schweden erklingen coole Salsa-Rhythmen, in Deutschland ertönt ein biederer Schlager. Konrad Elfers wurde als Musik-Bearbeiter der GENA gemeldet. – Die Musik ist nicht Bestandteil des Verfahrens. Es geht allein um den Liedtext. – Astrid Lindgren war Autorin des Originaltexts und verweigerte Franke nach seiner Anfrage vom 18. September 1969 das Recht, sich als Alleinurheber des Textes auszugeben. Bei der GEMA-Registrierung des Titels „Hei, Pippi Langstrumpf“ im Oktober 1969 wurden beide Namen aufgeführt. Im November 1987 ließ Frankes Musikverlag FKM-JUNIOR EDITION den geänderten Namen „Hey, Pippi Langstrumpf: Titellied“ registrieren. Astrid Lindgren wurde nun nicht mehr als Autorin genannt. Demnach wurden ihr auch keine Tantiemen ausgeschüttet.

Das Gericht musste nun zwischen Bearbeitung und Freier Benutzung abwägen. Aufgrund des letzten Metall-auf-Metall-Urteils des BGH musste für die Zeit nach 2002 geprüft werden, ob nach Inkrafttreten der EU- Richtlinie InfoSoc-RL (RL 2001/29/EG) die Kunstfreiheit zu berücksichtigen ist, bzw. ob die deutsche Liedfassung die übernommenen Teile bis zur Unkenntlichkeit umgestaltet hatte. Es entschied zugunsten der Klägerin für eine Bearbeitung, da „mit der Bezugnahme auf die Figur auch bereits die Übernahme wesentlicher äußerlicher und charakterlicher eigenpersönlicher Merkmale“ verbunden sind und „daraus für den durchschnittlichen Betrachter folgt, dass auch tatsächlich die vorbekannte literarische Figur abgebildet bzw. beschrieben“ werden sollte. Pippi Langstrumpf genießt als einzelner Charaktere des Sprachwerkes selbstständigen Urheberrechtsschutz. Die äußerlichen Merkmale reichen nicht aus (siehe oben, BGH-Urteil „Pippi-Langstrumpf-Kostüm II), im vorliegenden Fall wurden zusätzlich Charaktereigenschaften und Handlungen der Figur übernommen.

Die Figur Pippi Langstrumpf ist mitsamt ihrer Geschichte außerdem öffentlich so bekannt, dass eine zufällige Doppelschöpfung völlig ausgeschlossen ist. Die Liedfassung übernimmt die charakteristischen Merkmale der Erzählungen und ist keine literarische Übersetzung des Originaltexts. Die schutzfähige Bearbeitung ist begründet, weil „eigenschöpferische Elemente enthalten sind, etwa in Gestalt seiner individuellen und kunstvollen Wortwahl und Formulierungen“. Die schutzfähige Figur ist in „Hey, Pippi Langstrumpf“ ohne Weiteres wiedererkennbar, sodass sich der Texter Frank nicht auf die Kunstfreiheit berufen kann. Eine Parodie liegt nicht vor, „da es an dem insoweit erforderlichen Ausdruck von Humor oder Verspottung fehlt.“ Der Pastiche, worauf sich der Beklagte beruft, kann noch nicht angewendet werden, „da der deutsche Gesetzgeber diese Schrankenregelung noch nicht in das deutsche Recht umgesetzt hat“. Das erfolgte erst Monate später, Ende Mai 2021.

Entgegen der sehr hart formulierten Klageschrift waren sich die beiden Parteien darüber einig, dass der deutsche Liedtext weiterhin verbreitet werden darf, schließlich gehört das Lied „gefühlt“ zum Allgemeingut und ist aus den Kinderzimmern nicht mehr wegzudenken. Es geht allein um die angemessene Vergütung der Erben.

Das Gericht erkennt an, dass der deutsche Liedtext vor der Korrespondenz ab dem 09.08.2007 geduldet wurde. Danach ist von keiner Einwilligung oder Duldung mehr auszugehen. Die Schadensersatzansprüche sind erst für den Zeitraum ab diesem Schreiben berechtigt.

Das Urteil wurde angefochten. Vor dem Berufungsgericht wurde im Mai 2022 ein Vergleich ausgehandelt. (Quelle: Tagesschau vom 06.05.2022). Astrid Lindgren wird künftig als Mitautorin bei der Gema aufgeführt, die Rechte-Einnahmen werden geteilt.


Bedeutung

Das Urteil bestätigt das BGH-Urteil zum Pippi-Langstrumpf-Kostüm, wonach Figuren aus Erzählungen Urheberrechtsschutz genießen können. Indem es sich ausschließlich mit dem Text befasst, bestätigt es ebenso das Goldrapper-Urteil, nach dem Text und Musik getrennt zu betrachten sind.

Es ist auffällig, dass das Landgericht Hamburg das zeitnahe Metall-auf-Metall-Urteil des BGH berücksichtigt und somit vorausschauend auf die Urheberrechtsrefom 2021 und die neuen Schranken Pastiche und Parodie nach EU-Recht eingeht.

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Liste der Entscheidungen

Die Reihenfolge ist chronologisch (jüngste zuerst). Klicken Sie auf eine Kurzinfo, um weitere Informationen zu erhalten.
Gericht Datum Entscheidungsname
OLG Hamburg 2022 „Hey, Pippi Langstrumpf“
 Plagiat: schutzfähige Romanfigur im Liedtext
OLG Hamburg 2022 „Metall auf Metall“
 Sampling vs. Kunstfreiheit
LG Berlin 2021 „Kraftwerk“ vs. „Shrin David“
 Bearbeitung von 12 Noten
OLG Hamburg 2018 „FreiWIld“ vs. „Stahlgewitter“
 Doppelschöpfung wg. geringer Beweislast
OLG Zweibrücken 2015 „Barpiano“
 Plagiat von Piano-Arrangements
BGH 2015 „Goldrapper“
 Schutzfähigkeit kurzer verfälschter Samples
LG München 2008 „Still Got The Blues“
 Unfreie Übernahme eines Gitarrenriffs
OLG München 2002 „Conti“ vs "Struggle“
 Soundalike-Werbefilmmusik ist Freie Benutzung
BGH 2002 „Mischtonmeister“
 Schöpfung durch Tonabmischung
OLG München 1999 „Green Grass Grows“
 5 Töne sind nicht schutzwürdig
BGH 1997 „Please Don’t Go“
 Coverversion einer Bearbeitung unzulässig
BGH 1991 „Brown Girl I / II“
 Schutzfähigkeit der Bearbeitung eines Volksliedes
BGH 1988 „Fantasy“
 Melodieentnahme oder Doppelschöpfung
BGH 1988 „Ein bißchen Frieden“
 Gesamteindruck entscheidend
BGH 1980 „Dirlada“
 Geringe Gestaltungshöhe in der Popmusik
BGH 1970 „Magdalenenarie“
 Doppelschöpfung einer „wandernden Melodie“
BGH 1967 „Haselnuss“
 Bearbeitung durch schutzfähiges Arrangement
BGH 1958 „Lili Marleen“
 Übernahme eines Liedtextes

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