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Still Got The Blues

Unfreie Übernahme eines Gitarrenriffs (Plagiat)

Gericht Datum Aktenzeichen Entscheidungsname
LG München 03. Dezember 2008 21 O 23120-00 „Still Got The Blues“

Zum Fall:

Jud’s Gallery „Nordrach“ (Jürgen Winter, 1974)
vs.
Gary Moore „Still got the Blues“ (1990)
Urteil: Unfreie Übernahme.
Volltext der Gerichtsentscheidung (Wolters Kluwer)

Hörbeispiele

Hörbeispiel 1:
Jud’s Gallery „Nordrach“ (Jürgen Winter, 1974) ab 4:24

https://youtu.be/1ab3OiMCzfA?t=264

Hörbeispiel 2 (Plagiat):
Gary Moore „Still got the Blues“ (1990)

https://youtu.be/JmsUkutNnI0?t=217

Hörbeispiel 3 (Original 2):
Roland Kovac „Dana“ (1973)

https://youtu.be/BLewQm7nsv4

Hörbeispiel 4 (Vergleichswerk Vorbestand):
Lionel Richie „Hello“ (1983)

https://youtu.be/UBYnT8JY7sE?t=45

Hauptgutachter

Prof. Hermann Rauhe, Dr. Wolfram Sauter, Prof. Dr. Albrecht Schneider, Prof. Eckart Altenmüller


Kernaussagen / Leitsatz

Der Höreindruck ist entscheidend.

Eine Übernahme kann auch unbewusst erfolgen, wenn das ursprüngliche Werk vor Jahren gehört und im Langzeitgdächtnis gespeichert wurde.


Zusammenfassung

Bereits kurz nach Erscheinen des Titels „Stil Got The Blues“ war das berühmte Gitarrensolo Streitgegenstand. Im Fall gegen Roland Kovac („Dana“, LG München I 7 O 11024/91) wurde die Urheberrechtsverletzung verneint, weil es auf einer Quintfallsequenz beruhe, die zum musikalischen Allgemeingut gehöre. Eine Standardformel könne keine eigenpersönliche Leistung sein.

Das Gericht folgte im Fall gegen Nordrach dem gerichtlichen Sachverständigen „ausdrücklich“, der feststellte, dass das Solo dem Titel „Still Got The Blues“ „seine unverwechselbare Prägung verleiht“. Die Passage erreiche durch die „instrumentalspezifische Ausformung als Gitarrenmelodie […] einen hohen Grad von einmaliger Individualität und Wiedererkennbarkeit.“ Das Hervorheben der Instrumentierung steht im Einklang mit der Rechtsprechung. In der Popmusik wird stets an bekannte Muster angeknüpft, um hörpsychologisch den „Schein des Bekannten“ zu erwecken. Der Sachverständige verwies auf den Höreindruck und auf weitere Elemente, die sich nicht ohne Weiteres im Notenbild transkribiert werden könnten. Diese rezeptionspsychologischen Faktoren seien relevant für den Erfolg eines Musikwerks der Popularmusik.

Mündlich bekräftigte der Gutachter seine Position: „Meine Auffassung, wonach es bei der Popularmusik auf den Höreindruck und nicht auf den Notiereindruck ankommt, ist die herrschende Auffassung.“

Ungewöhnlich hoch lobt die Kammer den Sachverständigen: „Diese Vorschusslorbeeren hat der Sachverständige nach Ansicht der Kammer durch sein Wirken im Rahmen des Verfahrens durchaus bestätigt.“

Der Sachverständige findet schließlich eine „frappierende Übereinstimmung“ zwischen den Gitarrensoli. Das Gericht legt das Gewicht ebenfalls besonders auf den Höreindruck und stellt fest, die eigenschöpferischen Elemente aus „Nordrach“ fänden sich auch bei „Still Got The Blues“ wieder: „unter dem Gesichtspunkt der musikalischen Form, der Melodik, der Rhythmik, des Tempos, der Harmonik, der Instrumentierung und des Arrangements sind frappierende Übereinstimmungen zu hören.“

Das Gericht geht davon aus, dass Gary Moore „Nordrach“ gekannt hat: „Dafür spricht vor allem die klangliche Nähe beider Stücke zueinander“. Gary Moore hat in den Jahren 1974-75 im Raum Köln-Bonn gelebt und nachweislich den Club „Underground“ besucht, in dem der Kläger mit seinen Werken auftrat. Die Frage, ob eine Melodie 16 Jahre im Gedächtnis bleiben kann, wurde vom Sachverständigen Neurologen Altenmüller mündlich bejaht, auch im Hauptgutachten heißt es: „Gary Moore mag diese Melodiesequenz als eine von Hunderten in seinem Unterbewusstsein gespeichert haben. Er hat sie dann in einem neuen Kontext wiederverwendet. Ob er sich dieser Entlehnung bewusst war, wird schwer zu beweisen sein.“ Vorbekanntes sei Voraussetzung für Improvisation, erst allmählich könnten Musikpsychologen „kreative Prozesse empirisch teilweise nachvollziehen“. Es lägen bislang nicht genügend wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, die unbewusste Übernahme könne von der Beklagtenseite nicht entkräftet werden.

Obwohl der Fall zugunsten des Klägers entschieden wurde, wurde sein Name bis heute (Stand Juli 2021) nicht in die GEMA-Datenbank eingetragen (Vermerk dort: „Angaben strittig“).


Bedeutung

Dem Beklagten wurde zum Verhängnis, dass er die eher unbekannte Vorlage nachweislich gehört haben muss. Auch die unbewusste Übernahme (Kryptomnesie) hat juristische Folgen. Maßgeblich waren die Aussagen des Musiksachverständigen und eines Neurobiologen, der die langfristige Speicherfähigkeit einmalig gehörter Melodien bestätigte. Das Urteil ist dennoch umstritten, da der Verweis auf ähnliche Modelle im Vorbestand berechtigt ist. Ist die Tonfolge schutzfähig? und ist der Abstand zwischen den Riffs nicht doch ausreichend?

Die Meinung der Sachverständigen ging weit auseinander und sorgte für Verwirrung (Rauhe hielt die Melodie für schutzfähig, Schneider hielt den Abstand für hinreichend). Maßgeblich waren die Gutachter in letzter Instanz Die Musikwissenschaft umfasst auch die Bereiche Musikpsychologie und Musiksoziologie. Die Erkenntnisse etwa der Wahrnehmungsforschung gewinnen in Urheberrechtsprozessen immer mehr an Bedeutung.

Siehe auch Volkmar Kramarz (2009). Gary Moore VS. Jud's Gallery oder: Der Fall »STILL GOT THE BLUES«. Eine nachvollziehende Analyse des Gerichtsurteils http://www.aspm-samples.de/Samples8/kramarz.pdf

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Liste der Entscheidungen

Die Reihenfolge ist chronologisch (jüngste zuerst). Klicken Sie auf eine Kurzinfo, um weitere Informationen zu erhalten.
Gericht Datum Entscheidungsname
OLG Hamburg 2022 „Hey, Pippi Langstrumpf“
 Plagiat: schutzfähige Romanfigur im Liedtext
OLG Hamburg 2022 „Metall auf Metall“
 Sampling vs. Kunstfreiheit
LG Berlin 2021 „Kraftwerk“ vs. „Shrin David“
 Bearbeitung von 12 Noten
OLG Hamburg 2018 „FreiWIld“ vs. „Stahlgewitter“
 Doppelschöpfung wg. geringer Beweislast
OLG Zweibrücken 2015 „Barpiano“
 Plagiat von Piano-Arrangements
BGH 2015 „Goldrapper“
 Schutzfähigkeit kurzer verfälschter Samples
LG München 2008 „Still Got The Blues“
 Unfreie Übernahme eines Gitarrenriffs
OLG München 2002 „Conti“ vs "Struggle“
 Soundalike-Werbefilmmusik ist Freie Benutzung
BGH 2002 „Mischtonmeister“
 Schöpfung durch Tonabmischung
OLG München 1999 „Green Grass Grows“
 5 Töne sind nicht schutzwürdig
BGH 1997 „Please Don’t Go“
 Coverversion einer Bearbeitung unzulässig
BGH 1991 „Brown Girl I / II“
 Schutzfähigkeit der Bearbeitung eines Volksliedes
BGH 1988 „Fantasy“
 Melodieentnahme oder Doppelschöpfung
BGH 1988 „Ein bißchen Frieden“
 Gesamteindruck entscheidend
BGH 1980 „Dirlada“
 Geringe Gestaltungshöhe in der Popmusik
BGH 1970 „Magdalenenarie“
 Doppelschöpfung einer „wandernden Melodie“
BGH 1967 „Haselnuss“
 Bearbeitung durch schutzfähiges Arrangement
BGH 1958 „Lili Marleen“
 Übernahme eines Liedtextes

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