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Kraftwerk Metall auf Metall vs. Pelham - Nur mir

Schutz kurzer Samples der Tonträgerhersteller versus Kunstfreiheit

Gericht Datum Aktenzeichen Entscheidungsname
BGH 14. September 2023 I ZR 74/22 „Metall auf Metall V“
OLG Hamburg 28. April 2022 5 U 48/05 „Metall auf Metall“
EuGH 29. Juli 2019 C 476/17 „Metall auf Metall“
BGH 30. April 2020 ZR_115/16 „Metall auf Metall“ IV
BVerfG 31. Mai 2016 1 BvR 1585/13 „Metall auf Metall“

Zum Fall:

Sabrina Setlur (Produzent Moses Pelham) „Nur mir“ (1997)
vs.
Kraftwerk „Metall auf Metall“ (1977)
Urteil: noch in Verhandlung
Volltext Metall auf Metalll V (BGH 2023)
Volltext Metall auf Metalll III (OLG Hamburg 2022)
Volltext BGH Metall auf Metall IV 2020
Volltext der Gerichtsentscheidung (EuGH 2019)
Volltext Urteil des Verfassungsgerichts 2016

Hörbeispiele

Hörbeispiel 1 (Original):
Kraftwerk „Metall auf Metall“ ab 0:36

https://youtu.be/6b5XHOuxk2U?t=36

Hörbeispiel 2 (Sample):
Sabrina Setlur „Nur mir“

https://www.dailymotion.com/video/x2rpw6
(Auf YouTube nur noch aktuele Fassungen)

Hauptgutachter

nicht bekannt


Kernaussagen / Leitsatz

Sampling ohne Zustimmung ist unter Berücksichtigung der Pastiche-Schranke  nur dann erlaubt, wenn das übernommene Tonfragment bis zur Unkenntlichkeit verfremdet wurde und eine eindeutige künstlerische Auseinandersetzung mit dem Original stattfindet.

„Das Sampling kann einen Eingriff in die Rechte des Tonträgerherstellers darstellen, wenn es ohne dessen Zustimmung erfolgt. Die Nutzung eines Audiofragments, das einem Tonträger entnommen wurde in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form stellt jedoch auch ohne Zustimmung keinen Eingriff in diese Rechte dar“ (Gerichtshof der Europäischen Union, PRESSEMITTEILUNG Nr.98/19, Luxemburg, den 29.Juli 2020)


Zusammenfassung

Der Fall geht bis vor das Verfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof. Es ist einer der längsten und spektakulärsten Fälle der deutschen Rechtsgeschichte:

1977 veröffentlich Kraftwerk „Metall auf Metall“.

1997 Moses Pelham verwendet ein etwa zwei Sekunden langes Musikfragment aus dem Stück als Loop im Song „Nur mir“ von Sabrina Setlur. 1999 Kraftwerk klagt.

8.04.2004. Das Landgericht Hamburg (308 O 90/99) entscheidet zu Gunsten von Kraftwerk. Es stellt keine Urheberrechtsverletzung fest, aber die Verletzung des Tonträgerherstellerrechts gemäß § 84 I UrhG.

Kraftwerk – Pelham 1:0

07.06.2006. Zwei Jahre später weist das Hanseatische OLG (5 U 48/05) die Berufung zurück und bestätigte das Urteil. Nur wenn das Sample sehr klein und somit kaum erkennbar wäre, würden die Tonträgerherstellerrechte nicht verletzt.

Kraftwerk – Pelham 0::0

20.11.2008. Der BGH (I ZR 112/06) hebt das erste Urteil auf und verweist den Fall zurück an das Oberlandesgericht. Es soll prüfen, ob die freie Benutzung § 24 anzusetzen wäre. Die Rechtfertigung dieser Schranke wäre auszuschließen, wenn die Samples von Musikern selbst erstellt werden könnten.

Kraftwerk – Pelham 1:0

17.08.2011. Das OLG stellt nach Untersuchung fest, dass Pelham die gesampelte Sequenz selbst erstellt haben könnte und verneint daher die freie Benutzung.

Kraftwerk – Pelham 2:0

13.12.2012. Der BGH (I ZR 182/11) bestätigt nochmals, dass es weniger um die Tonfolge geht, sondern um die Leistung des Tonträgerherstellers. Nun wird auch erwähnt, dass die Kunstfreiheit diesem Schutz der Schallaufzeichnung entgegensteht.

Der BGH entscheidet erstmals grundätzlich für das Sampling im Sinne der Kunstfreiheit, wenn die freie Benutzung anzusetzen ist. Die freie Benutzung scheidet aber konkret aus „wenn es einem durchschnittlich ausgestatteten und befähigten Musikproduzenten zum Zeitpunkt der Benutzung der fremden Tonaufnahme möglich ist, eine eigene Tonaufnahme herzustellen, die dem Original bei einer Verwendung im selben musikalischen Zusammenhang aus Sicht des angesprochenen Verkehrs gleichwertig ist.“

Kraftwerk – Pelham 0:0

31. Mai 2016. Das Verfassungsgericht (1 BvR 1585/13) hebt sämtliche Entscheidungen auf. Die Gerichte haben die Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Absatz 3 des Grundgesetzes nicht genügend berücksichtigt.

Die Freie Benutzung sei „nicht geeignet, einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Interesse an einer ungehinderten künstlerischen Fortentwicklung und den Eigentumsinteressen der Tonträgerproduzenten herzustellen“. Das Sampling kann nicht verwehrt werden, da dem Tonträgerhersteller keine finanziellen Verluste entstehen. Die Eingriffe in das Eigentumsrecht sind geringfügig.

Das bislang vorgetragene Kriterium des Nachspielens wird abgelehnt, da das Sample dadurch nicht ersetzt werden kann. Die Verfassungsrichter erkennen: „Der Einsatz von Samples ist eines der stilprägenden Elemente des Hip-Hop.“

Kraftwerk – Pelham 0:0

01.06.2017. Der BGH soll neu entscheiden, stellt jedoch in einem Beschluss einen Fragekatalog mit fünf Fragen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH).

29.07.2019. Der EuGH (C-476/17) kommt zum Schluss, dass die Vervielfältigungsrechte von Tonaufnahmen allein beim Tonträgerhersteller liegen. Geschützt werden selbst kleinste Fragmente, das Schutzniveau ist hoch. Von einer Vervielfältigung könne aber nicht die Rede sein, wenn die ursprüngliche Aufnahme nicht mehr zu erkennen sei. Wenn ein Hörer die Herkunftsaufnahme nicht wiedererkennen kann, spräche im Sinne der Kunstfreiheit nichts gegen die Technik des „elektronischen Kopierens von Audiofragmenten“ (Sampling).

Außerdem handele es sich bei einem Tonfragment nicht um ein „Vervielfältigungsstück“ im Sinn des Genfer Übereinkommens bzw. eine Kopie, wenn nur ein Musikfragment entnommen wurde.

Nun setzt sich das Gericht mit der Richtlinie 2011/29/EG auseinander, in der für alle europäischen Staaten Rechte und Ausnahmen geregelt sind. Art. 2 Buchst. C (Vervielfältigungsrecht der Tonträgerhersteller) und Art. 5 Abs. 3 d) (Zitatrecht). Berücksichtigt wurde auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. b und Art. 10 Abs. 2 der (Richtlinie 2006/115).

Der EuGH stellt fest, dass die deutsche Regelung § 24 UrhG („freie Benutzung“) vor allem mit dem „starren Melodienschutz“ nicht mit dem EU-Recht vereinbar ist. Das ranghöhere Unionsrecht steht über dem Landesrecht. Die Länder können die Richtlinien konkretisieren, dürfen ihnen aber nicht widersprechen. Der Paragraf 24 der deutschen Rechtnorm besagt, dass „ein selbstständiges Werk, das in freier Benutzung des Werks eines anderen geschaffen wurde, grundsätzlich ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden darf.“ Damit werden die ausschließlichen Schutzrechte der Tonträgerhersteller entgegen europäischer Bestimmungen (Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29) eingeschränkt.

Der EuGH zieht außerdem das Zitatrecht in Betracht. Ein Musikfragment könne ein Zitat im Sinne Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29 sein, wenn die Nutzung zum Ziel habe, mit dem Herkunftswerk zu interagieren. Wenn das Ursprungwerk nicht erkennbar ist, sei die erforderliche Interaktion nicht gegeben. Fazit: Sampling stellt ohne Zustimmung des Tonträgerherstellers zwar einen Eingriff in dessen Rechte dar. Es liegt aber keine Rechtsverletzung vor, wenn eine Wiedererkennung der Inhalte durch Veränderung ausgeschlossen ist.

Der konkrete Fall wurde damit noch nicht geklärt.

Kraftwerk – Pelham 1:1

30.04.2020. Der BGH (I ZR 115/16) folgt dem Europäischen Gerichtshof. Das Gericht unterscheidet zwischen alter und neuer Regelung. Vor Inkrafttreten der europäischen Richtlinie 2001/29 am 22.02.2002 könnte die „freie Benutzung“ § 24 UrhG anzuwenden sein. Von einer freien Benutzung wäre grundsätzlich auszugehen, da das neue Werk selbständig und die übernommene Rhythmussequenz keine Melodie ist. Der BGH hält nun nicht mehr an der ursprünglichen Idee fest, dass ein Sample nachgespielt werden kann. Nach 2002 ist die Anwendung der freien Benutzung nicht zulässig. Selbst Sampling kleinster Audiofragmente stellt eine Verletzung von Leistungsschutzrechten des Tonträgerherstellers dar. Nun gilt es zu klären, ob das Sample deutlich wahrnehmbar ist.

Kraftwerk – Pelham 1:1

Das Hanseatische OLG hat am 28.04.2022 erneut entscheiden (5 U 48/05 und ließ die Revision zum Bundesgerichtshof zu (BGH - I ZR 74/22). Der bisherige Stand: Vor dem 22. Dezember 2002 war das Sample als freie Benutzung zulässig. Von diesem Datum bis zum 7. Juni 2021 war die Vervielfältigung des Samples nicht zulässig, weil Leistungsschutzrechte verletzt wurden. Ab der Urheberrechtsfeform vom 7. Juni 2021 gilt die Pastiche-Schranke §51a. Ab diesem Zeitpunkt ist das Sample zulässig, weil eine künstlerische Auseinandersetzung stattgefunden hat.

Bemerkenswert ist, dass das Gericht den Sachverständigen folgt und der übernommenen Rhythmussequenz von zwei Sekunden Werkschutz zugesteht.    


Bedeutung

Nach zwanzig Jahren Rechtsstreit ist das Resümee ernüchternd. Es ist am Ende ein Urteil herausgekommen, das nur für die Zeit vor 2002 und den Zeitraum zwischen 2002 und 2021 gilt. Fälle vor 2002 sind allerdings für neue Rechtsfälle in der Regel bereits verjährt. Sampling von erkennbaren Fragmenten und ganzen Passagen, wie es im Hip-Hop oder bei Mash-Ups, Remixes usw. üblich ist, ist im Rahemn der Pastiche-Schranke erlaubt, sofern eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Original stattgefunden hat.

Das EuGH-Urteil hat 2021 wesentlich zur Gestalt des novellierten Urheberrechts beigetragen. Es wurden neue Schranken eingefügt, die Freie Benutzung und damit der starre Melodienschutz wurden abgeschafft.

Der BGH hat die Entscheidung im September 2023 ausgesetzt. Der EUGH soll nun entscheiden, ob auch Sampling unter astiche fallen kann. Ferner soll geklärt werden, ob Pastiches absichtlich erstellt werden müssen und ob Voraussetzungen wie das Erkennen einer Hommage erfüllt werden müssen. Schließlich muss geklärt werden, ob Pastiches nur von Musikkennern oder auch von Laien erkannt werden müssen.

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Liste der Entscheidungen

Die Reihenfolge ist chronologisch (jüngste zuerst). Klicken Sie auf eine Kurzinfo, um weitere Informationen zu erhalten.
Gericht Datum Entscheidungsname
OLG Hamburg 2022 „Hey, Pippi Langstrumpf“
 Plagiat: schutzfähige Romanfigur im Liedtext
OLG Hamburg 2022 „Metall auf Metall“
 Sampling vs. Kunstfreiheit
LG Berlin 2021 „Kraftwerk“ vs. „Shrin David“
 Bearbeitung von 12 Noten
OLG Hamburg 2018 „FreiWIld“ vs. „Stahlgewitter“
 Doppelschöpfung wg. geringer Beweislast
OLG Zweibrücken 2015 „Barpiano“
 Plagiat von Piano-Arrangements
BGH 2015 „Goldrapper“
 Schutzfähigkeit kurzer verfälschter Samples
LG München 2008 „Still Got The Blues“
 Unfreie Übernahme eines Gitarrenriffs
OLG München 2002 „Conti“ vs "Struggle“
 Soundalike-Werbefilmmusik ist Freie Benutzung
BGH 2002 „Mischtonmeister“
 Schöpfung durch Tonabmischung
OLG München 1999 „Green Grass Grows“
 5 Töne sind nicht schutzwürdig
BGH 1997 „Please Don’t Go“
 Coverversion einer Bearbeitung unzulässig
BGH 1991 „Brown Girl I / II“
 Schutzfähigkeit der Bearbeitung eines Volksliedes
BGH 1988 „Fantasy“
 Melodieentnahme oder Doppelschöpfung
BGH 1988 „Ein bißchen Frieden“
 Gesamteindruck entscheidend
BGH 1980 „Dirlada“
 Geringe Gestaltungshöhe in der Popmusik
BGH 1970 „Magdalenenarie“
 Doppelschöpfung einer „wandernden Melodie“
BGH 1967 „Haselnuss“
 Bearbeitung durch schutzfähiges Arrangement
BGH 1958 „Lili Marleen“
 Übernahme eines Liedtextes

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