Lili Marleen
Übernahme eines Sujets in Liedtext und Plakatwerbung
Gericht | Datum | Aktenzeichen | Entscheidungsname |
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BGH | 4. Februar 1958 | I ZR 48/57 | „Lili Marleen“ |
Zum Fall:„Lili Marleen“ (Musik Norbert Schultze, Text Hans Leip 1937)vs. "Auf Wiederseh'n Marlén" (Die Alten Kameraden 1954) |
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Urteil: Unfreie Übernahme. | |||
Volltext der Gerichtsentscheidung (Wolters Kluver) |
Hörbeispiele
Hörbeispiel 1 (Original):
Aufnahme Lale Andersen 1939
https://youtu.be/YjXC4N1HXf0
Hörbeispiel 3:
(Nicht Streitgegenstand, für historisch Interessierte) Originalfassung von Hans Leip 1915
https://youtu.be/qtWucsCEnqQ (Neuaufnahme)
Hauptgutachter
nicht bekannt
Kernaussagen / Leitsatz
Es ist von einer freien Benutzung auszugehen, wenn sich ein Liedtext inhaltlich nur allgemein an einen weithin bekannten Liedtext eines anderen Verfassers anlehnt und ansonsten Ausdrucksgehalt und Formgebung soweit abweichen, dass die individuellen Züge des Ursprungswerks weitgehend zurücktreten.
Die Urheberrechte am Originalwerk werden unter diesen Bedingungen selbst dann nicht verletzt, wenn die Namen der Hauptfiguren (hier Lili Marleen / Lili Marlén) weitgehend übereinstimmen.
„Eine solche Anknüpfung kann aber gegen die Grundsätze des lauteren Wettbewerbs verstoßen, wenn es sich bei dem vorbestehenden Werk um ein literarisches Erzeugnis besonderer Eigenart handelt, das sich außergewöhnlicher Beliebtheit erfreut, und durch die Übereinstimmungen im Inhalt und Namen die Gefahr heraufbeschworen wird, dass beteiligte Verkehrskreise zu Unrecht annehmen, es handele sich bei dem später verfassten Liedtext um eine Neuschöpfung des Autors der ursprünglichen Liedfassung.“
Zusammenfassung
Anmerkung: Das Urheberrechtsgesetz gilt erst seit 1965. Das Gericht befindet, dass der neue Liedtext eine selbständige literarische Leistung darstellt. Die übernommenen Ideen verblassen aufgrund der neuen Werkteile, daher handelt es sich um eine freie Benutzung des vorbestehenden Textes im Sinne von §13 Abs. 1 LitUrhG (von 1901, entspricht § 24 UrhG bis 6. Juni 2021). Der jüngere Text erwähnt wie im Original eine Kaserne und eine Laterne. Zudem fängt das Werk mit dem gleichen Militärsignal „Zapfenstreich“ an.
Die Sujets sind ähnlich, doch der szenische Rahmen ist nicht eigenpersönlich, sondern sehr allgemein: Ein Soldat trifft unter der Laterne ein geliebtes Mädchen. Er wird mit einem anderen Ausdrucksgehalt versehen, der ursprüngliche Text zeichnet sich durch einen „lyrisch sentimentalen Stimmungsgehalt“ aus, der neue Text hat „dagegen den ganz anders gearteten frisch-fröhlichen Charakter eines Marschliedes“.
Zwar ist Lili Marleen eine bekannte Kunstfigur, doch der Name ist allgemein, er könnte sich auch auf eine andere Person beziehen. Insgesamt verstößt das neue Werk weder auf der Textebene noch in der Musik Urheberrechte am vorbekannten Werk. Problematisch ist allerdings das Werbeplakat, das visuell deutlich an das ursprüngliche Lili-Marleen-Plattencover erinnerte. Das Werbeplakat führt das Publikum in die Irre.
Das Gericht geht daher davon aus, dass der Kläger „durch die Anlehnung an den alten Liedtext bewusst dessen Ruf und Volkstümlichkeit als Vorspann zur Empfehlung des neuen Liedes ausnutzen wollte […] Eine wettbewerblich erhebliche Verwechslungsgefahr, die Unterlassungsansprüche nach §1 UWG auslösen kann, ist aber bei Werken der Literatur und Tonkunst schon dann anzunehmen, wenn durch die Verwendung eines aus einem vorbestellenden Werk weithin bekannten Namens in einem neuen Werk irrige Vorstellungen über die Beziehungen der beiden Werke zueinander heraufbeschworen werden.“
Bedeutung
Die freie Benutzung wurde 2021 abgeschafft, die Voraussetzung des „Verblassens“ für eine freie Benutzung wurde zugunsten eines „hinreichenden Abstands“ als Abweisung einer Bearbeitung ersetzt. Damit sind größere Ähnlichkeiten als früher möglich. Zudem wurden weitere Schranken eingeführt. Das Urteil könnte jedoch weiterhin die Mindestgrenze für den Beurteilungsmaßstab festlegen, ab wann ein Abstand eines angelehnten Werkes hinreichend ist.