„Wie ein Kind“ vs. „Fantasy“
Keine Übereinstimmung: Anscheinsbeweis wird durch Sachverständigen entkräftet.
Gericht | Datum | Aktenzeichen | Entscheidungsname |
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BGH | 03. Februar 1988 | I ZR 143/86 | „Fantasy“ |
Zum Fall:Katy Kassay "Wie ein Kind" (Berd Plato 1975)vs. Earth Wind & Fire „Fantasy“ (Maurice White, Eddy del Barrio und Verdine White 1977) |
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Urteil: Keine Urheberrechtsverletzung | |||
Volltext der Gerichtsentscheidung (Wolters Kluwer) |
Hörbeispiele
Hörbeispiel 1 (Original):
Wie ein Kind 1975
https://youtu.be/nlOWdU15i70?t=42
Hauptgutachter
Prof. Dr. Hermann Rauhe
Kernaussagen / Leitsatz
Die Feststellung der Schutzfähigkeit ist wichtig, denn nur so ist es möglich „die Grenze zwischen den urheberrechtlich relevanten Benutzungshandlungen (in Form der Vervielfältigung oder Bearbeitung) und der zulässigen freien Benutzung zu ziehen.“
Der Beweis des ersten Anscheins wird entkräftet, wenn durch das Gutachten eines vom Gericht bestellten Sachverständigen keine wesentlichen Übereinstimmungen festgestellt wurden.
Zusammenfassung
Es liegt keine Urheberrechtsverletzung vor. Nur im Chorus ähneln sich die Melodien. Der Aufbau A - A - A - B ist beinahe identisch, „Fantasy“ variiert jedoch das nicht schutzfähigen Motiv in der zweiten Wiederholung. „Die zweifache Wiederholung des Motivs A dagegen verleihe der Tonfolge eine spürbare Eindringlichkeit und lasse die Gesamttonfolge in Verbindung mit dem Schlussteil zur Melodie werden.“ Dennoch besitzt sie nur eine geringe Eigentümlichkeit. Den Gemeinsamkeiten misst das Gericht kein Gewicht bei, denn die aufsteigende Terz am Anfang und die Wiederholung des Motivs gehören zum musikalischen Allgemeingut. Eine bewusste oder unbewusste Entlehnung ist nicht nachgewiesen. Das vorbestehende Werk „Wie ein Kind“ war ohnehin wenig bekannt, es gab wenige Möglichkeiten das Werk zu hören. Unter den Umständen sind andere Geschehensabläufe naheliegender als das Zurückgreifen auf die ältere Melodie. Der Anscheinsbeweis ist damit ausgeräumt. Die Frage nach dem Anscheinsbeweis stellt sich zudem erst gar nicht, „da aufgrund gravierender Abweichungen beider Melodien von einer zufälligen Doppelschöpfung auszugehen.“ ist. So hat die Melodie in „Wie ein Kind“ einen „gemächlicheren Ablauf“. Der Sachverständige Rauhe hat keine relevanten Übereinstimmungen gefunden, eine Verletzungshandlung liegt demnach nicht vor.
Bedeutung
Das Urteil bestätigt vorherige Entscheidungen. Banale Ähnlichkeiten zwischen Werken mit geringer Gestaltungshöhe, die auf üblichen Gestaltungsmitteln beruhen, stellen keine Schutzverletzung dar. Das Gericht hebt die Rolle des Sachverständigen in der Beweisführung besonders hervor.
Der BGH setzte ein bis heute gültiges mehrstufiges Prüfverfahren fest. Eine Urheberrechtsverletzung liegt vor, wenn geschützte Werkteile ennommen wurden. Die Kenntnis des Originalwerkes und ein bewusster oder unbewusster Rückgriff darauf sind Voraussetung. Daher ist schrittweise zu prüfen: 1. Ob die streitgegenständlichen Werkteile schutzfähig sind. 2. Ob im Schutzbereicch Gemeinsamkeiten vorliegen. Bei einer Melodieentnahme muss der ästhetische Gehalt ähnlich sein, sonst gilt der Gesamteindruck. 3. Wurden relevante Übernahmen festgestellt, sei nach den Regeln des Anscheinsbeweises auf eine bewsusste oder unbewusste Übernahme zu prüfen. Dafür ist ist etwa ein Zuganng zum Ausganswerk erforderlich.
Anmerkung: Als 4. Punkt wurde später ergänzt, dass auch auf Schranken geprüft werden müsse. So könnte es beim späteren Werk um eine Parodie handeln.