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„Ein bißchen Frieden“ vs. „Alle Liebe dieser Erde“

Prüfung der Schutzfähigkeit ist Pflicht. Doppelschöpfung ist seltene Ausnahme.

Gericht Datum Aktenzeichen Entscheidungsname
BGH 03. Februar 1988 I ZR 142/86 „Ein bißchen Frieden“

Zum Fall:

Nicole „Ein bißchen Frieden“ (Ralph Siegel 1982)
vs.
Julio Iglesias „Alle Liebe dieser Erde“ (Musik Bert Olden, Text Christian Heilburg 1973)
Urteil: Keine Urheberrechtsverletzung
(vermutlich, Urteil des KG Berlin nicht digital auffindbar, kein GEMA-Eintrag)
Volltext der Gerichtsentscheidung (Wolters Kluwer)

Hörbeispiele

Hörbeispiel 1 (Original 1):
Un Canto a Galicia

https://youtu.be/j802Z7PmLQM?t=145

Hörbeispiel 2 (Original 2):
Alles Liebe dieser Erde

wGGRKc00SZQ?t=179

Hörbeispiel 3 (vermeintliches Plagiat):
Ein bißchen Frieden

https://youtu.be/fh0u9rCgta8?t=65

Hauptgutachter

Prof. Dr. Hermann Rauhe, Privatgutachter Prof. Dr. Richard Jakoby


Kernaussagen / Leitsatz

Die Schutzfähigkeit der Melodien ist Voraussetzung des Anscheinsbeweises und muss zuerst überprüft werden.

Die Doppelschöpfung ist eine seltene Ausnahme, weil in der Musik viele Gestaltungsmöglichkeiten vorhanden sind. „Bei dieser rechtlichen Ausgangslage müssen schon gewichtige Gründe für die Annahme einer zufälligen Doppelschöpfung sprechen.“

Der Abstand unter Berücksichtigung der Gestaltungshöhe ist entscheidend.Schon kleinste Formgebungen können zu einem Schutz führen („Kleine Münze“ ). Je weniger Übereinstimmungen bestehen, desto schwächer wird der Anscheinsbeweis sein bzw. ganz entfallen; umgekehrt gilt, je mehr Übereinstimmungen, desto stärker der Anscheinsbeweis.“


Zusammenfassung

Das Kammergericht Berlin ( U 2615/84 v. 9. Mai 1986) hat eine zufällige Doppelschöpfung festgestellt und eine Urheberrechtsverletzung verneint. „Alle Liebe dieser Erde“ geht auf das ältere Werk „Un Canto a Galicia“ von Julio Iglesias zurück (deutsche Textfassung von Harald H. Werner/Bert Olden „Wenn ein Schiff vorüber fährt“). Es besteht vertraglich ein „Gemeinschaftscopyright“. Das Zwischenspiel von „Alle Liebe dieser Erde“ hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem Refrain von „Ein bißchen Frieden“. Der Sachverständige hat sich in mehreren Gutachten allerdings widersprüchlich zur Schutzfähigkeit der Melodie geäußert.

Das Berufungsgericht hat es versäumt, die Schutzfähigkeit der vorbestehenden Melodien festzustellen. Das ist jedoch eine Voraussetzung für die Anwendung der Regel des Anscheinsbeweises. Die konkrete Übereinstimmung ist ebenfalls nicht dargelegt worden. Es wurde kein Geschehensablauf dargelegt, der eine Übernahme entkräftet. Ein eingeschränkter Gestaltungsspielraum ist kein hinreichender Einwand gegen den Anscheinsbeweis. „Auch im musikalischen Bereich ist bei Anwendung der bestehenden Lehren und Gestaltungsmittel (wie Melodik, Harmonik, Rhythmik, Metrik, Tempo, Phrasierung, Artikulierung, Ornamentik, Kadenz, Periodik, Arrangement) ein weiter Spielraum für eine individuelle Ausdruckskraft gegeben, der die Annahme einer Doppelschöpfung auch hier als Ausnahme erscheinen lässt.“ Da das Gericht nicht die Übereinstimmungen festgestellt hatte, konnte es eine Doppelschöpfung nicht näher bezeichnen und noch weniger mit schwerer gewichteten Unterschieden begründen. Die Unterschiede gelten für das Gesamtgepräge und nicht für die streitgegenständlichen Melodien. Dass der Sachverständige nicht die herkömmliche strukturelle Analysemethode, sondern eine nicht etablierten, selbstentwickelte „sozio-kulturelle Analyse unter Berücksichtigung einer psychologischen Dimension“ wählte, wurde anders als von der Revision gefordert nicht beanstandet. Das Berufungsgericht wurde aufgefordert, zuerst das Vorliegen einer geistigen Schöpfung im vorbestehenden Werk und im Falle einer Bejahung die Übereinstimmungen überprüfen zu lassen. Erst nach Feststellung der Gestaltungshöhe des neuen Werkes ließe sich der Abstand der Werke klären.

Die Entscheidung wurde vom BGH an das Berufungsgericht zurückgewiesen. Ein Urteil des Kammergericht Berlin liegt nicht vor, die GEMA-Datenbank weist "Ein bißchen Frieden" als Originalwerk aus. Die Klage wurde vermutlich zurückgenommen oder die Ansprüche der Kläger wurden abgelehnt. Die GEMA-Einträge wurden jedenfalls nicht geändert.


Bedeutung

Das Urteil zeigt, dass eine genaue Überprüfung erfolgen muss. Ist die Ursprungsmelodie schutzfähig? Sind Ähnlichkeiten vorhanden? Wir hoch ist die Schöpfungshöhe, wie groß der Gestaltungsspielraum, unterscheidet sich der Gesamteindruck? Eine Doppelschöpfung gilt eher als unwahrscheinlich.

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Liste der Entscheidungen

Die Reihenfolge ist chronologisch (jüngste zuerst). Klicken Sie auf eine Kurzinfo, um weitere Informationen zu erhalten.
Gericht Datum Entscheidungsname
OLG Hamburg 2022 „Hey, Pippi Langstrumpf“
 Plagiat: schutzfähige Romanfigur im Liedtext
OLG Hamburg 2022 „Metall auf Metall“
 Sampling vs. Kunstfreiheit
LG Berlin 2021 „Kraftwerk“ vs. „Shrin David“
 Bearbeitung von 12 Noten
OLG Hamburg 2018 „FreiWIld“ vs. „Stahlgewitter“
 Doppelschöpfung wg. geringer Beweislast
OLG Zweibrücken 2015 „Barpiano“
 Plagiat von Piano-Arrangements
BGH 2015 „Goldrapper“
 Schutzfähigkeit kurzer verfälschter Samples
LG München 2008 „Still Got The Blues“
 Unfreie Übernahme eines Gitarrenriffs
OLG München 2002 „Conti“ vs "Struggle“
 Soundalike-Werbefilmmusik ist Freie Benutzung
BGH 2002 „Mischtonmeister“
 Schöpfung durch Tonabmischung
OLG München 1999 „Green Grass Grows“
 5 Töne sind nicht schutzwürdig
BGH 1997 „Please Don’t Go“
 Coverversion einer Bearbeitung unzulässig
BGH 1991 „Brown Girl I / II“
 Schutzfähigkeit der Bearbeitung eines Volksliedes
BGH 1988 „Fantasy“
 Melodieentnahme oder Doppelschöpfung
BGH 1988 „Ein bißchen Frieden“
 Gesamteindruck entscheidend
BGH 1980 „Dirlada“
 Geringe Gestaltungshöhe in der Popmusik
BGH 1970 „Magdalenenarie“
 Doppelschöpfung einer „wandernden Melodie“
BGH 1967 „Haselnuss“
 Bearbeitung durch schutzfähiges Arrangement
BGH 1958 „Lili Marleen“
 Übernahme eines Liedtextes

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