Kraftwerk vs. Shirin David
2 interpolierte Takte im Beat sind ein Plagiat
Gericht | Datum | Aktenzeichen | Entscheidungsname |
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LG Berlin | 19.10.2021 | 15 O 361/20 | „Hoes Up G's Down“ |
Zum Fall:Kraftwerk „Die Mensch-Maschine“ aus dem gleichnamigen Album (1978)vs. Shirin David „Hoes Up G's Down“ 2020 |
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Urteil: Urheberrechtsverletzung | |||
Volltext der Gerichtsentscheidung (openJur) |
Hörbeispiele
Hauptgutachter
Heiko Maus, Matthias Pogoda
Kernaussagen / Leitsatz
Sobald eine Melodie wiedererkennbar ist, sodass die schutzfähigen Teile nicht verblassen, sei sie noch so umgestaltet, liegt eine unfreie Bearbeitung vor. Nicht die Abweichungen, sondern die Ähnlichkeiten sind maßgeblich. "Auf welchen objektiven Merkmalen dies im Einzelnen beruht (etwa: Melodie, Polyphonie, Echos etc.), muss hingegen nicht festgestellt werden."
Zusammenfassung
Shirin David spielt im Titel “Hoes Up G’s Down” auf mehrere Werke an, wie es im Hip-Hop üblich ist. Unter anderem bezieht sie sich auf “(Always Be My) Sunshine” von Jay-T von 2003. Jay-z hat im Beat ein Sample aus Die Mensch-Maschine verwendet. Shirin David hat einen ähnlichen Beat produziert. Er wurde absichtlich geändert, um keine Urheberrechte zu verletzen.
So argumentiert die Beklagte, dass die Melodie nicht mehr polyphon sei, nur die Hälfte der 11 Töne übereinstimmen, das Klicken komme nicht vor, die Konturen wichen ab, und es kämen neue Effekte sowie Rap hinzu. In der Intervallfolge, dem melodischen Rhythmus und dem Bass bestehen wesentliche Unterschiede. Dadurch entstehe ein hinreichender Abstand.
Das Landgericht Berlin befindet hingegen, dass hier eine zustimmungspflichtige Bearbeitung iSd § 23 Satz 1 UrhG vorliegt. Die wesentlichen Züge der Melodie allein seien schon wiederkennbar. Damit sei das Ursprungswerk nicht verblasst. Eine objektive Begründung, warum sie wiederkennbar ist, hält das Gericht nicht für notwendig, der eigene Höreindruck sei entscheidend: „Auf welchen objektiven Merkmalen dies im Einzelnen beruht (etwa: Melodie, Polyphonie, Echos etc), muss hingegen nicht festgestellt werden. Denn bei der erforderlichen Gesamtschau hat der Song der Beklagten das klägerische Werk übernommen.“ „Diese Übereinstimmungen sind hier aber derart groß […]dass man bei Anhören des Songs der Beklagten ohne Mühen die Melodie des Klägers erkennt.“ Der zusätzlich ähnliche Bass unterstütze den Eindruck.
Auf einen weiteren Musiksachverständigen verzichtet das Gericht, weil es sich durch Musikkonsum und Ausbildung in klassischer Gitarre selbst für befähigt hält. Zudem ginge es nicht um die Schutzfähigkeit an sich wie im Goldrapper-Urteil, sondern allein um die unfreie Umgestaltung.
Weil kein Zweck erkennbar ist, scheiden Zitat- und Pastiche-Schranke aus.
Bedeutung
Das Urteil zeigt, dass es mitunter nicht ausreicht eine Melodie umzuwandeln, wenn sie weiterhin erkennbar bleibt. Ich habe im Fall die Beklagte vertreten und nachgewiesen, dass ein hinreichender Abstand besteht. Zwar klingen die Werkteile ähnlich, doch diese Ähnlichkeiten fallen nicht in den Schutzbereich. In der Gesamtbetrachtung weisen die Teile deutliche Unterschiede auf. Maßgeblich sind, anders als in der Urteilsbegründung dargestellt, objektive Maßstäbe und nicht das Gehör eines Richters, der nebenbei etwas Gitarre spielt. Sonst wären Musikgutachten generell sinnlos. Auch wenn der Fall hier nicht ganz eindeutig ist, zeigt das Urteil vor allem, dass Musiker bei bewussten Inspirationen sehr vorsichtig sein müssen.