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Kraftwerk vs. Shirin David

2 interpolierte Takte im Beat sind ein Plagiat

Gericht Datum Aktenzeichen Entscheidungsname
LG Berlin 19.10.2021 15 O 361/20 „Hoes Up G's Down“

Zum Fall:

Kraftwerk „Die Mensch-Maschine“ aus dem gleichnamigen Album (1978)
vs.
Shirin David „Hoes Up G's Down“ 2020
Urteil: Urheberrechtsverletzung
Volltext der Gerichtsentscheidung (openJur)

Hörbeispiele

Hörbeispiel 1: Shirin David: Warum klingt “Hoes Up G’s Down” plötzlich anders? || PULS Musikanalyse

https://youtu.be/kZ8YYM5deBM
(Der umstrittene  Beat von Hoes Up G’s Down wurde 2023 geändert. Die alten Aufnahmen sind nicht mehr zugänglich. Im Video sind Ausschnitte beider Werke zu hören.)

Hörbeispiel 2 (Original):
Kraftwerk „Die Mensch-Machine“ (1978)

https://youtu.be/8VApZHVH6iw

Hauptgutachter

Heiko Maus, Matthias Pogoda


Kernaussagen / Leitsatz

Sobald eine Melodie wiedererkennbar ist, sodass die schutzfähigen Teile nicht verblassen, sei sie noch so umgestaltet, liegt eine unfreie Bearbeitung vor. Nicht die Abweichungen, sondern die Ähnlichkeiten sind maßgeblich. "Auf welchen objektiven Merkmalen dies im Einzelnen beruht (etwa: Melodie, Polyphonie, Echos etc.), muss hingegen nicht festgestellt werden."


Zusammenfassung

Shirin David spielt im Titel “Hoes Up G’s Down” auf mehrere Werke an, wie es im Hip-Hop üblich ist. Unter anderem bezieht sie sich auf “(Always Be My) Sunshine” von Jay-T von 2003. Jay-z hat im Beat ein Sample aus Die Mensch-Maschine verwendet. Shirin David hat einen ähnlichen Beat produziert. Er wurde absichtlich geändert, um keine Urheberrechte zu verletzen.

So argumentiert die Beklagte, dass die Melodie nicht mehr polyphon sei, nur die Hälfte der 11 Töne übereinstimmen, das Klicken komme nicht vor, die Konturen wichen ab, und es kämen neue Effekte sowie Rap hinzu. In der Intervallfolge, dem melodischen Rhythmus und dem Bass bestehen wesentliche Unterschiede. Dadurch entstehe ein hinreichender Abstand.

Das Landgericht Berlin befindet hingegen, dass hier eine zustimmungspflichtige Bearbeitung iSd § 23 Satz 1 UrhG vorliegt. Die wesentlichen Züge der Melodie allein seien schon wiederkennbar. Damit sei das Ursprungswerk nicht verblasst. Eine objektive Begründung, warum sie wiederkennbar ist, hält das Gericht nicht für notwendig, der eigene Höreindruck sei entscheidend: „Auf welchen objektiven Merkmalen dies im Einzelnen beruht (etwa: Melodie, Polyphonie, Echos etc), muss hingegen nicht festgestellt werden. Denn bei der erforderlichen Gesamtschau hat der Song der Beklagten das klägerische Werk übernommen.“ „Diese Übereinstimmungen sind hier aber derart groß […]dass man bei Anhören des Songs der Beklagten ohne Mühen die Melodie des Klägers erkennt.“ Der zusätzlich ähnliche Bass unterstütze den Eindruck.

Auf einen weiteren Musiksachverständigen verzichtet das Gericht, weil es sich durch Musikkonsum und Ausbildung in klassischer Gitarre selbst für befähigt hält. Zudem ginge es nicht um die Schutzfähigkeit an sich wie im Goldrapper-Urteil, sondern allein um die unfreie Umgestaltung.

Weil kein Zweck erkennbar ist, scheiden Zitat- und Pastiche-Schranke aus.


Bedeutung

Das Urteil zeigt, dass es mitunter nicht ausreicht eine Melodie umzuwandeln, wenn sie weiterhin erkennbar bleibt. Ich habe im Fall die Beklagte vertreten und nachgewiesen, dass ein hinreichender Abstand besteht. Zwar klingen die Werkteile ähnlich, doch diese Ähnlichkeiten fallen nicht in den Schutzbereich. In der Gesamtbetrachtung weisen die Teile deutliche Unterschiede auf. Maßgeblich sind, anders als in der Urteilsbegründung dargestellt, objektive Maßstäbe und nicht das Gehör eines Richters, der nebenbei etwas Gitarre spielt. Sonst wären Musikgutachten generell sinnlos. Auch wenn der Fall hier nicht ganz eindeutig ist, zeigt das Urteil vor allem, dass Musiker bei bewussten Inspirationen sehr vorsichtig sein müssen.

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Liste der Entscheidungen

Die Reihenfolge ist chronologisch (jüngste zuerst). Klicken Sie auf eine Kurzinfo, um weitere Informationen zu erhalten.
Gericht Datum Entscheidungsname
OLG Hamburg 2022 „Hey, Pippi Langstrumpf“
 Plagiat: schutzfähige Romanfigur im Liedtext
OLG Hamburg 2022 „Metall auf Metall“
 Sampling vs. Kunstfreiheit
LG Berlin 2021 „Kraftwerk“ vs. „Shrin David“
 Bearbeitung von 12 Noten
OLG Hamburg 2018 „FreiWIld“ vs. „Stahlgewitter“
 Doppelschöpfung wg. geringer Beweislast
OLG Zweibrücken 2015 „Barpiano“
 Plagiat von Piano-Arrangements
BGH 2015 „Goldrapper“
 Schutzfähigkeit kurzer verfälschter Samples
LG München 2008 „Still Got The Blues“
 Unfreie Übernahme eines Gitarrenriffs
OLG München 2002 „Conti“ vs "Struggle“
 Soundalike-Werbefilmmusik ist Freie Benutzung
BGH 2002 „Mischtonmeister“
 Schöpfung durch Tonabmischung
OLG München 1999 „Green Grass Grows“
 5 Töne sind nicht schutzwürdig
BGH 1997 „Please Don’t Go“
 Coverversion einer Bearbeitung unzulässig
BGH 1991 „Brown Girl I / II“
 Schutzfähigkeit der Bearbeitung eines Volksliedes
BGH 1988 „Fantasy“
 Melodieentnahme oder Doppelschöpfung
BGH 1988 „Ein bißchen Frieden“
 Gesamteindruck entscheidend
BGH 1980 „Dirlada“
 Geringe Gestaltungshöhe in der Popmusik
BGH 1970 „Magdalenenarie“
 Doppelschöpfung einer „wandernden Melodie“
BGH 1967 „Haselnuss“
 Bearbeitung durch schutzfähiges Arrangement
BGH 1958 „Lili Marleen“
 Übernahme eines Liedtextes

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