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Brown Girl In The Ring

Bearbeitung eines Volkslieds, Gesamteindruck, Form und Liedtext

Gericht Datum Aktenzeichen Entscheidungsname
BGH 24. Januar 1991 I ZR 78/89
I ZR 72/89
I ZR 77/89
„Brown Girl I“
„Brown Girl II“
(Zusammenfassung)

Es werden zwei Fälle zusammengefasst

Zum Fall Brown Girl I:

Tony McKay (Exuma), „Brown Girl“ (1972)
vs.
Boney M. „Brown Girl In The Ring“ (Frank Farian 1978)

Zum Fall Brown Girl II:

Malcolm's Locks, „There is a Brown Girl in the Ring“
(Arrangement Peter Herbolzheimer 1975)
vs.
Boney M „Brown Girl In The Ring“ (Frank Farian 1978)
Urteile: I Keine Urheberrechtsverletzung II Urheberrechtsverletzung
Brown Girl I
Volltext der Gerichtsentscheidung (Wolters Kluwer)
Brown Girl II
Volltext der Gerichtsentscheidung (Wolters Kluwer)
Zusammenfassung
Volltext der Gerichtsentscheidung (Wolters Kluwer)

Hörbeispiele

Hörbeispiel 1 (Volkslied):
Brown Girl in the Ring (Louise Bennett 1957)

https://youtu.be/Y97RLpgdxyw

Hörbeispiel 2 (Kläger I):
Brown Girl (Exuma 1972)

https://youtu.be/KvDq2qmZaxg

Hörbeispiel 2:
Brown Girl in the Ring, (Boney M 1975)

https://youtu.be/WbGS0BkC_Tc

Hörbeispiel 4:

Das Album Caribbean Rock von Malcolm's Locks ist zurzeit leider nicht online verfügbar.
Weitere Fassungen des Liedes, die vor Boney M erschienen:
Lord Invader (1959): https://youtu.be/g0lp40UnuBM
The Maytones (1972): https://youtu.be/CpD1prVdnvQ

Hauptgutachter

Brown Girl II:  Privatgutachter Prof. L., Privatgutachter F., Prof. Dr. Albrecht Schneider, ... 


Kernaussagen / Leitsatz

Zur Frage des Eingriffs in die Textrechte und des Melodienschutzes bei der Bearbeitung eines (gemeinfreien) Volksliedes (Brown Girl I)

Zur Urheberrechtsschutzfähigkeit der Bearbeitung eines (gemeinfreien) Volksliedes und zur Frage der unfreien Benutzung (Bearbeitung) einer solchen Bearbeitung (Brown Girl II).

Ob eine freie Benutzung oder eine abhängige Bearbeitung vorliegt, hängt entscheidend von der Gestaltungshöhe des als Vorlage benutzten Werkes ab. Je höher die eigenschöpferische Prägung im Originalwerk ist, desto weniger können die übernommenen Merkmale im abhängigen Werk verblassen. Umgekehrt können aber auch keine zu hohen Anforderungen an eine freie Benutzung gestellt werden, wenn die verwendete Vorlage nur einen geringen eigenschöpferischen Gehalt aufweist. Ein Werk mit geringerer Gestaltungshöhe geht eher in dem nachgeschaffenen Werk auf als ein Werk mit hoher Eigenprägung.


Zusammenfassung

Zunächst ist der Fall aus heutiger Sicht interessant weil es um eine post-koloniale Aneignugnen geht. Brown Girl in the Ring ist ein Kinderlied aus der Karibik. Boney M veröffentllichte 1975 eine moderne Tanzfassung. Zuvor haben andere Musiker westliche Pop-Arrangements vom Lied veröffentlicht. Alle stritten über die Rechte an den Arrangements. Ob etwaige Urheber aus der Karibik zu vergüten sind, wurde nicht im Ansatz thematisiert.

Brown Girl I:

Tony McKay bzw. sein Verlag klagte gegen die Fassung von Boney M. Eine Leistung des Sängers bestand in der Erweiterung des Liedtextes mit Musik und Text. Sein Text wurde in der Neufassung überarbeitet, konkret geht es im Rechtstreit um diesen B-Teil ab ca. 1:34:

Blue Hill water dry, No where to wash my clothes.
Remember one Saturday night,
Fryed (fried) Fish and Johnny cake.
Bang, Bang, Bang Misauke.

Die ersten zwei Zeilen des B-Teils kommen im nachfolgenden Werk von Boney M. nicht vor und sind lediglich eine klischeehafte Umschreibung der Zeilen („for she's sweet like a sugar and a plum“) aus dem gemeinfreien Formbestand:

Sweet like a honeypie
You and your big brown eye

Der Text ist laut Berufungsgericht banal aber gerade eben noch schutzfähig aufgrund folgender Merkmale: „Die Anrede an das tanzende Mädchen selbst, durch die eine persönliche Beziehung zu diesem und dem Sänger hergestellt werde, sowie die Verbindung des Armutstopos mit einem Begriff aus der Natur und vielleicht die Verwendung des Wortes Misauke.“
In der Fassung des Beklagten (Boney M.) lauten die Zeilen:

Old head water run dry.
No where to wash my clothes.
I remember one Saturday night
we had fried frish and Johnny cakes.
Dan-ge-dang, dang-a-dang.

Weil die frühere Fassung nur eine geringe Eigentümlichkeit aufweist, ist der Abstand hinreichend, da keines der gerade eben noch schutzfähigen Elemente übernommen wurde. Die persönliche Ansprache sei ebenso weggefallen wie der Naturbezug zum Wasser. Um die musikalische Übernahme zu beurteilen, reichen die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz nicht aus. Eine nicht in den Akten dokumentierte weitere vermeintliche gemeinfreie Fassung, die von einem Sachverständigen angeführt wurde, stellte sich als nachträglich entstandene Aufnahme heraus. Die Entstehungsreigenfolge war nun unklar.

Am 15.03.1993 entschied das Hanseatische OLG, dass der B-Teil von der Exuma-Fassung nicht schutzfähig ist. Es folgte den Ausführungen des Sachverständigen, demnach handelt es sich um eine „Aneinanderreihung allgemeiner musikalischer Elemente, ohne dass diese in eine kompositorische Gesamtgestalt intergiert würde“.

Brown Girl II:

Am 9. Juli 1979 reichte Herbolzheimer Klage beim Landgericht Hamburg ein. „Brown Girl in the Ring“ ist ein jamaikanisches Volkslied. Der Kläger Peter Herbolzheimer hat es nach eigener Darstellung vom Sänger Malcolm Magaron kennengelernt und dazu ein Arrangement geschrieben, das 1975 auf Platte veröffentlicht wurde.

Das Herbolzheimer-Arrangement besitzt nach Auffassung des Gerichts eine hinreichende Eigentümlichkeit, daher handelt es sich um eine Bearbeitung im Sinne § 3 Satz 1, § 23 Satz 1 UrhG. Es wurden durch einen Sachverständigen sechs wesentliche Berührungspunkte festgestellt, von denen fünf im eigenschöpferischen Bereich des Klägers übereinstimmten: „in der Struktur des ersten Durchgangs, im Melodieverlauf, im Tempo, im Übergang vom Sologesang auf den stärker beteiligten Instrumental-Background und vor allem im Mariacchi-Effekt. Diese Übereinstimmungen seien nicht mehr durch Zufall zu erklären.“ Der Gesamteindruck der eigenschöpferischen Elemente der Kläger-Fassung ist vom Berufungsgericht hinreichend gewürdigt worden. Die Form ist in der Neufassung geändert worden, zudem ist eine Schutzfähigkeit der neuen Melodiefassung aufgrund der neuen Punktierungen nach Auffassung des Sachverständigen gegeben. Weil der Gestaltungsspielraum bei volkstümlichen Melodien gering ist, sind mitunter geringe Abweichungen relevant. Schließlich ließen sich im Arrangement zwei Elemente mit eigenschöpferischen Zügen ausmachen, und zwar „beim Übergang vom Sologesang auf den stärker beteiligten Instrumental-Background und sodann beim Mariacchi-Effekt, d.h. bei der Intensivierung des Klanges durch den von Trompeten bestimmten Mariacchi-Sound.“ Im Gesamtgepräge entfaltet sich schließlich der eigenschöpferische Ausdrucksgehalt. Daher handelt es sich um eine Bearbeitung, die prägenden Elemente seien von der Vorlage übernommen worden. Aufgrund der hohen Übereinstimmungen ist eine Übernahme sehr wahrscheinlich.

Fortführung des Verfahrens:

Nachdem die Rechtsverletzung 1991 höchstrichterlich festgestellt wurde, ging es eigentlich nur noch um die Tantiemen. Doch es wurde kurios. Das Verfahren wurde vom Gericht verschleppt, die Nerven lagen blank. 2000 wurde der erste Sachverständige nach einer parteiischen Äußerung wegen Befangenheit abgelehnt. Ein neuer Musikgutachter kam nun zum entgegengesetzten Ergebnis! Die Klage wurde vom Hamburger Landgericht abgewiesen (Az. 324 O 218/79). Die Berufung wurde ebenfalls abgewiesen (Az. 3 U 10/01). Die Zulassungsbeschwerde beim BGH wurde Dezember 2002 abgelehnt (Az. I ZR 137/02). Nach dem längsten Urheberrechtstreit der Bunderepublik hat der Kläger in der letzten Instanz verloren.


Bedeutung

Das Verfahren Brown Girl II dauerte über 20 Jahre an. Im Verfahren ging es vor allem um die Umgestaltung des Textes und strukturelle Ähnlichkeiten im Arrangement. Die Entscheidung zeigt, wie wichtig der Gesamteindruck bei der Beurteilung einer Schutzverletzung ist.

Es ging letztlich um die Frage, welcher Produzent durch geringe Leistung viel Geld an einem karibischen Volkslied verdienen durfte. Die Rechte etwaiger Urheber im Ursprungsland wurden nie verhandelt oder auch nur in Erwägung gezogen. Lesen Die dazu auch meinen Kommentar für die Deutsche Welle: Raubmusik? Kritik am Umgang mit Musik anderer Kulturen

Einschränkung: 1985 wurde der § 3 UrhG (Bearbeitung) um einen dritten Satz erweitert: "Die nur unwesentliche Bearbeitung eines nicht geschützten Werkes der Musik wird nicht als selbständiges Werk geschützt." Seitdem gilt bei Bearbeitung von Volksliedern ein zweiter (strengerer) Beurteilungsmaßstab. Diese Regelung wurde von den Gerichten nicht berücksichtig. Der Absatz sollte deutsche Trachtengruppen schützen. In unveröffentlichten Fällen mit meiner Beteiligung wurde der zweite Beurteilungsmaßstab durchaus auch bei Volksliedern aus anderen Ländern berücksichtigt (etwa bei einem amerikanischen Weihnachtslied).

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Liste der Entscheidungen

Die Reihenfolge ist chronologisch (jüngste zuerst). Klicken Sie auf eine Kurzinfo, um weitere Informationen zu erhalten.
Gericht Datum Entscheidungsname
OLG Hamburg 2022 „Hey, Pippi Langstrumpf“
 Plagiat: schutzfähige Romanfigur im Liedtext
OLG Hamburg 2022 „Metall auf Metall“
 Sampling vs. Kunstfreiheit
LG Berlin 2021 „Kraftwerk“ vs. „Shrin David“
 Bearbeitung von 12 Noten
OLG Hamburg 2018 „FreiWIld“ vs. „Stahlgewitter“
 Doppelschöpfung wg. geringer Beweislast
OLG Zweibrücken 2015 „Barpiano“
 Plagiat von Piano-Arrangements
BGH 2015 „Goldrapper“
 Schutzfähigkeit kurzer verfälschter Samples
LG München 2008 „Still Got The Blues“
 Unfreie Übernahme eines Gitarrenriffs
OLG München 2002 „Conti“ vs "Struggle“
 Soundalike-Werbefilmmusik ist Freie Benutzung
BGH 2002 „Mischtonmeister“
 Schöpfung durch Tonabmischung
OLG München 1999 „Green Grass Grows“
 5 Töne sind nicht schutzwürdig
BGH 1997 „Please Don’t Go“
 Coverversion einer Bearbeitung unzulässig
BGH 1991 „Brown Girl I / II“
 Schutzfähigkeit der Bearbeitung eines Volksliedes
BGH 1988 „Fantasy“
 Melodieentnahme oder Doppelschöpfung
BGH 1988 „Ein bißchen Frieden“
 Gesamteindruck entscheidend
BGH 1980 „Dirlada“
 Geringe Gestaltungshöhe in der Popmusik
BGH 1970 „Magdalenenarie“
 Doppelschöpfung einer „wandernden Melodie“
BGH 1967 „Haselnuss“
 Bearbeitung durch schutzfähiges Arrangement
BGH 1958 „Lili Marleen“
 Übernahme eines Liedtextes

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